Kapitel 3

Der Zweck heiligt die Mittel


 “Muskelshirt und Röhrchenjeans? Bitte nicht!”

~ Faltgitarre, Mondlicht, Meeresbrandung 


Und wieder war warten, das Einzige, was ich tun konnte. Im Wissen, dass es zwei bis drei Wochen dauern würde, bis mich eine Beurteilung meiner Präsentation im Teppichzimmer erreicht, war die Erwartung des Kommenden omnipräsent. Am Morgen, bei der stets unter Stress laufenden Aktivierung meines Tagesmodus, auf dem Weg zur Arbeit, bei der Arbeit, nach der Arbeit und nachts während dem endlos dauernden Herunterfahren meiner Körperfunktionen. Glücklicherweise musste ich mich von diesen Gedanken nicht ewig quälen lassen. Abermals dauerte es nur wenige Tage, bis ich mittags einen Anruf erhielt. „Du bist weiter!“ klang es honigsüss durch die Hörmuschel. Wow! Mein erster musikalischer Auftritt am Fernsehen rückte in greifbare Nähe. Damit verbunden aber auch erneute Hausaufgaben. „Schick uns doch eine Liste mit zehn Songs, die du singen kannst und zehn weiteren, die du dir gerne anhörst.“ Ok. Kein Problem. Wirklich? Diese Aufgabe stellte sich als grosse Herausforderung dar. Im Wissen, dass viele der Songs, welche ich mit meinem Mitmusiker vom Gitarrenduo „He‘n‘Me“ regelmässig auf die Bühne bringe, wohl zu wenig Mainstream waren (und es immer noch sind), wurde die Auswahl an singbaren und vor allem mir schon bekannten Songs kleiner und kleiner. Vielleicht würden ja die Setlisten von „PlacidTales“ was hergeben. Immerhin an die fünfzig Lieder, sorgfältig ausgewählt, ein guter Mix, so finde ich. Klar, die meisten der Songs werden von unseren drei Sängerinnen interpretiert, viele davon mehrstimmig, aber einen Versuch war es allemal wert. So mussten die kommenden paar Mittagspausen für Machbarkeitsstudien der musikalischen Art herhalten. Beim Durchspielen der Liederauswahl blieb dann auch die eine oder andere Komposition hängen. Die Liste des Singbaren füllte sich allmählich und ich war erleichtert, als ich die Zehn voll hatte. Die Zusammenstellung der zweiten Liste ging flott von der Hand. Es gibt viele Songs da draussen, welche mir sehr gut gefallen, ich aber niemals zu singen wagen würde. Flugs alles in eine Email verpackt und ab damit. Die Produktionsfirma würde die Listen sichten und mir in - richtig - zwei bis drei Wochen, zwei Songs für die PreAudition bekannt geben. Ein Termin für dieses zweite Vorsingen wurde bereits festgelegt und fiel genau auf den Montag nach den bevorstehenden Ferien. Dies stellte mich vor eine weitere Herausforderung. Wie, in aller Welt, sollte ich mich in den Ferien an der Türkischen Riviera auf die PreAudition vorbereiten? Klar, mein Äpfelchen würde ich auch in den Urlaub mitnehmen. Klar, das Äpfelchen kann fast alles, aber Saitenspiel auf dem Touchscreen ging nun wirklich nicht. So mussten abermals meine Mittagspausen zur Problemlösung dienen. Aus einer, beinahe im Müll gelandeten Konzertgitarre und einem eckigen Miniklangkörper wurde eiligst eine faltbare Reisegitarre im Handgepäckformat zusammen-geschustert. Sägen, schleifen, kleben, schrauben und fertig war meine optisch wenig ansprechende Wanderklampfe. Aber das Ding funktionierte und das war die Hauptsache. Kleider in die Koffern, Koffern und Familie ins Auto, damit dann zum Flughafen und schliesslich ab in die Türkei. Wir alle freuten uns auf ein paar friedliche Tage am Meer und wurden nicht enttäuscht. Die im Hotelzimmer wartende Gitarre wurde zunächst nicht benutzt, die zu übenden Songs waren noch nicht da. Dann endlich. Eine Email aus der Heimat ploppte aufs berührungs-empflindliche Häutchen meines... ich wiederhole mich, ich weiss. „Home“ von Michael Bublé war die Produzentenwahl meiner Liste. Ok. Nicht gerade meine Nummer 1, aber ok. Dazu gesellten sich noch zwei Vorschläge der Musikredaktion, wobei ich einen der beiden auswählen sollte. „Me and Mr. Jones“ von Counting Crows. Cooler Song, aber nicht meins. Was noch? „Footloose“ von Blake Shelton. Was? Footloose. Dieser Song aus eben diesem Film? Das konnte nicht deren Ernst sein!? War es aber. Ich sah mich schon in Röhrchenjeans und Muskelshirt affig über die Bühne hüpfen und mir wurde schlagartig übel dabei. Ein Be- such auf einem bekannten Online-Videokanal konnte meine inneren Wogen wieder glätten. Die Neuinterpretation von Blake Shelton hatte was. Nun dann, so sollte es wohl sein. Fusslos zuhause. Ich war barfuss und fühlte mich nachts am Strand nicht wirklich zuhause. Aber was solls. Die improvisierte Bühne am Meer würde den Zweck erfüllen. Denn der Zweck heiligt die Mittel, sagt man. Zugegeben, der frisch vom Traktor gekämmte Sandstrand bot kein Bühnenfeeling. Aber der Soundteppich der Bran- dung und die Lightshow des Mondes waren nicht ohne. Es brauchte doch Einiges an Überwindung, mich mit meiner Bastel-Gitarre an den Strand zu setzen und los zu trällern. Es galt ja nicht, einfach ein paar Songs zu singen und so vielleicht einen Mini-Strandgig zu initiieren, sondern zu üben. Wie sollte ich die beiden, mir gestellten Auf- gaben am effektvollsten meistern. Nah am Original? Oder doch auf eigene Art und Weise? Ich hielt mich an den zweiten Weg. Wann immer ich eine Coverversion, und das waren ja beide Songs, die es zu verinnerlichen galt, in mein Programm aufnehme, versuche ich ihr meinen persönlichen Stempel aufzudrücken. Im guten Glauben, dass dies einfach authentischer ist. Vielleicht aber auch, weil ich dem Original nie genügend nahe kommen könnte. Während ich zu Beginn meiner nächtlichen Sessions jeweils verstummte, wenn jemand vorüberging, war mir das später egal. Je mehr sich die beiden Songs in die Richtung entwickelten, die mir gefiel, desto weniger kümmerte mich das Rundherum. Allmählich aber ging die erholsame Urlaubszeit zu Ende. Schade. Aber da war ja auch noch die PreAudition. Schön. Diese lief wie ein Film ab. Unglücklicherweise folgte sie nämlich direkt im Anschluss an einen Nachts-um-vier-zuhause-ankommen-dann-arbeiten-und-anschliessend-direkt-zum-Vorsingen-gehen-Marathon. Die ganzen Reise-strapazen (nein, fliege niemals mit einem sechzehn Monate alten Kind irgendwohin oder von irgendwo her wieder nach Hause) steckten noch tief in meinen Knochen und ehe ich mich versah, war das Casting auch schon wieder vorbei. Upps. Wie war‘s? Keine Ahnung. Ich glaube: Ok.

 

Ach ja: Derselbe Raum, derselbe Teppich, dieselben Personen (oder?). Aber diesmal gab es sogar Applaus. Yeah. 


zurück zur Projektseite   -   vorheriges Kapitel (2)   -   nächstes Kapitel (4)

zurück zur Projektseite   -   vorheriges Kapitel (2)