“I‘m standing at the crossroad. The‘re many roads to take.”
~ Vertragswerk unterzeichnet, Mikrofon und Kamera vor der Nase
Hey Peter, wie geht‘s?“ Katrin erwischte mich während der Fahrt vom Mittagessen zurück an die Arbeit. „Kommt ganz darauf an, was du mir zu erzählen hast.“ Ich versuchte ihren Tonfall zu deuten. Kam jetzt gleich eine Absage? Im Stile von, deine Performance war ganz ok, aber es hat schlussendlich nicht ganz gereicht? Ich besann mich kurz auf‘s aktuelle Datum und die Zeitspanne zwischen der PreAudition und dem Hier und Jetzt. Waren das tatsächlich wieder so wenige Tage gewesen? Das konnte doch nur Gutes verheissen, oder? Ich horchte weiter. „Die bist weiter! Der Jury hat deine Interpretation von Bublés Home sehr gut gefallen und wir möchten anfragen, ob du das genau so an den BlindAuditions vortragen würdest?“ BlindAuditions. Wow. Aus dem anfänglichen „Mal schauen, was passiert, wenn ich mein Video einsende“ war doch tatsächlich eine Einladung zu einer Samstagabend-Kiste der nationalen Fernsehstation geworden. Mein Herz kletterte empor, hämmerte an meinen Kehlkopf und mein Magen knetete das erst vor Kurzem verspeiste Mittagsmahl schwungvoll durch. Das galt es erst einmal du verdauen. Die frohe Kunde natürlich. Das Mittagessen auch. Im weiteren Verlauf des Tages schwankte ich zwischen Stolz, Vorfreude und Ehrfurcht. Die Kinder in Klassenzimmer, fragten sich wohl, einmal mehr, was denn mit dem Brandenberger nur los ist. Vielleicht aber auch nicht. Ich versuchte die Nachmittagslektionen Lehrplan konform über die Bühne zu bringen und brachte anschliessend die frohe Botschaft nach Hause.
Nicht das Einüben meines BlindAudition-Songs war die erste Arbeit, welche ich in Angriff nahm. Nein. Der erste offizielle Akt zu meiner ersten TV-Produktion führte mich nach Schlieren ins Industriegebiet. Dort sollte ich Frank Red und Antwort stehen. Auf dem Programm stand ein ungefähr einstündiges Interview, welches Material für die TheVoice-Sendung geben sollte. Nun gut, kein Problem. Termin mit meiner Chefin abgleichen (sie sprang für mich in der Schule ein), Navi mit den Zieldaten füttern und ab ins Fernsehstudio. Na ja. Fast. Und wieder gab es da eine Hürde, die es erst zu überwinden galt. Per Email wurde ich im Vorfeld des Interviewtermins aufgefordert, drei möglich Outfits für die bevorstehende BlindAudition mitzunehmen. „Im standing at the crossroad. The‘re many roads to take.“ Wie recht Calvin Russel hatte, als er diese Textzeilen schrieb. Die eine Strasse, die ich nun nehmen konnte, war die mir bis anhin bekannte, wohl typisch männliche Herangehensweise. Wobei typisch männlich, je nach Testosterongehalt, sehr unterschiedlich interpretiert werden kann. Mir mögen alle männlichen und weniger männlichen Links-, wie auch Rechtsträger verzeihen, wenn ich an dieser Stelle verallgemeinere. Der Mann öffnet seinen Kleiderschrank, wählt die schönste Jeans, die er hat (er hat ja nur zwei) und drei T-Shirts direkt vom Tablar oberhalb. Fertig sind die drei Outfits. Ach ja, dazu noch ein paar bequeme Schuhe und diejenigen „edlen“, welche er entweder vom der eigenen Hochzeit, dem aktiven Dienst bei der Schweizer Armee oder von der Kommunion bzw. Kofirmation übrig hat. Die Zusammenstellung der drei Outfits dauert also gerade mal drei bis vier Minuten. Beim anderen Weg wird‘s komplizierter, aber der qualitative Outfit-Output steigt, im Vergleich zur rein männlichen Variante, ins Unermessliche. Der zweite Weg ist weiblich. In meinem Fall, der Weg meiner Ehefrau. Auf ihren Weg schafften es nicht viele Kleidungsstücke aus meinem Fundus. Wenig davon schien TV tauglich zu sein. Diejenigen Stücke, welche in die engere Auswahl kamen, waren die, welche mir Sybille irgendwann gekauft hatte. Oder mich zumindest dazu bewogen hatte, sie zu kaufen. Es waren aber auch die schöneren Exemplare, als diejenigen, welche ich mir ohne Fremdeinwirkung einmal zugelegt hatte. Gemeinsam versuchten wir herauszufinden, welche T-Shirts und Hemden mit welchen Hosen und Schuhe kombiniert werden konnten. Erschwert wurde das ganze Prozedere dadurch, dass wir nichts kleinkariertes und fein gestreiftes auswählen durften, da die Fernsehkameras darauf mit Flimmern reagierten. Verständlich. Wer hat schon Freude an Kleinkariertheit. Am Ende, und bis dahin war ein langer Weg, haben wir es geschafft. Danke Sybille.
Ach ja. Dann gibt‘s da noch einen dritten Weg. Man schmeisse sein digitales, Internet fähiges Endgerät an und surfe in den endlosen Weiten des Textilienbazars, welcher die Kleidungsstücke frei Haus liefert und alles, was man nicht braucht, kostenlos wieder zurücknimmt. Ich habe mich also an der, von Calvin Russel besungenen Kreuzung für zwei Wege entschieden. Der erste Weg, kombiniert mit einer Ehe und einem Auftritt im Fernsehen, konnte unmöglich beschritten werden. Der zweite war der Richtige und der dritte lieferte mir ein paar fehlende Teile und meiner Frau ein paar interaktive Einkaufsstunden. Ach ja, liefern. Mit der Lieferung hat es nicht geklappt. Die bestellten Stücke kamen, entgegen anders lautenden Versprechungen, eine ganze Woche zu spät. Die drei coolen Shirts aber habe ich behalten. Ersten, weil sie mir gefallen. Zweitens, man weiss ja nie.
Am Tag des Interviews gondelte ich mit meinen frisch gebügelten Outfits ins Fernsehstudio. Im Kopf ging ich noch einmal die möglichen Kleiderkombinationen durch. Würden unsere Ideen ankommen? Ich sollte es bald erfahren. In der Annahme, alle Outfits anziehen und präsentieren zu müssen, stellte ich meinen Rollkoffer schon mal in die Garderobe. Jetzt aber nur keinen Stress. Der Interviewraum war gerade besetzt und man hinkte dem Terminplan bereits ein wenig hinterher. Also genehmigte ich mir als erstes einen Kaffee. Susanna von der Produktionsfirma forderte mich nach dem zweiten oder dritten Bohnengetränk dann doch auf, mein Lieblingsoutfit anziehen. Jeans, T-Shirt, Blazer und natürlich Schuhwerk. Aber eben nicht die männliche Variante. Eine schöne Jeans. Unter dem Blazer ein lässiges T-Shirt und dazu farblich passende Schuhe. Gut durchdacht, mit Stil. Weiblich eben. Und gleich der erste Vorschlag wurde genehmigt. Nur der Blazer sollte keine Verwendung finden. Anscheinend machen die Dinger, wenn man die Arme hebt, dick auf dem Bildschirm. Also weg damit. Das sollte mir recht sein, wollte ich doch meine Hirnaktivitäten während meiner BlindAudition auf meinen Song ausrichten und nicht damit beschäftigen, auf meine Arme und deren Position achten zu müssen.
Endlich, der Akku meines Äpfelchens werkelt schon lange auf Notstrom, kam eines der Talents, so die offizielle Bezeichnung unserer singender Gattung, aus dem Interviewraum. Leicht verschwitzt. Ob‘s an Franks Fragen lag oder dem eng um den Hals geknöpften Hemd? Ich würde es gleich erfahren, denn ich war nun an der Reihe. Ich trat durch die schwere, hölzerne Studiotüre und fand mich in einem riesengrossen, schwarzen Etwas wieder. Frontal vor mir prangte ein überdimensionales TheVoice-Logo an der Wand und in der Mitte der dunklen Unendlichkeit stand ein Hocker. Darüber hing ein Mikrofon. Das war dann wohl mein Platz. Frank kam auf mich zu. Ein grau melierter Herr mittleren Alters und sympathischem Gesicht empfing mich, führte mich zum „heissen Stuhl“ und erklärte mir das auf mich Zukommende. Währenddessen wurde von den zwei weiteren anwesenden Herren das Mikrofon ausgerichtet und eingepegelt sowie die Kamera scharf gemacht. „Ein paar Fragen nur. Sei locker und spontan.“ Locker und spontan. Einfacher gesagt als getan. Locker war ich eigentlich schon. Dennoch verspürte ich eine gewissen Anspannung. Was würde ich nun alles erzählen müssen? Ich singe seit ich ein Baby bin. Ich bin für die Bühne geboren. Ich möchte unbedingt gewinnen. Ich habe die beste Stimme der Schweiz. Alles Bullshit. Ich musiziere schon lange und Musik ist ein fester Bestandteil meines Lebens. Ich arbeite als Lehrer, bin verheiratet und habe zwei Kinder. Das ist alles, aber für ein Interview einer grossen Samstagabend-Show wahrlich zuwenig. Unglücklicherweise habe ich keine Medienhype auslösenden Leichen im Keller, habe noch nie ein Hotelzimmer zerdeppert und bin auch noch nicht bekifft und halbnackt, zu schnell durch eine Innenstadt gebrettert. Ich bin wahrscheinlich einfach ein Bünzli. Natürlich die weiterentwickelte, dem aktuellen Jahrtausend angepasste Version. Bünzli 2.0 eben. Ich wollte mir auch gar nicht irgendetwas tolles für das Interview ausdenken. Selbst wenn ich noch ein paar tolle Ideen in meine Ausführungen hätte einflechten können, war mir die Gefahr zu gross, im Verlauf des Gesprächs dann über die selbst gelegten Stolpersteine zu fallen. Ich beantwortete also den ganzen Fragenkatalog aus dem Bauch heraus. Vielleicht nicht ganz so spektakulär, aber immerhin ehrlich. Am Ende, nach einer geschlagenen Stunden, konnte wir auf eine lockere und spontane Plauderei zurückblicken. Erfüllt. Danke Frank.
Diesmal war ich derjenige, welcher leicht verschwitzt aus dem Interviewraum trat, wo schon das nächste Talent wartete. Der zugeknöpfte Kragen war‘s nicht. Ich hatte ja keinen. Die Fragen? Nein, eigentlich nicht. Ich redete mir ein, dass es wahrscheinlich da drin einfach zu warm war. Beim Verabschieden konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Das für das Interview bereitstehende Talent hatte sich in Schale geworfen. Dicker Stoff im Schichten-Look.
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